Aussagepsychologische Gutachten
Gutachten im Bereich Aussagepsychologie werden auch als Glaubhaftigkeitsgutachten oder gelegentlich als Glaubwürdigkeitsgutachten bezeichnet. Aussagepsychologische Gutachten werden vom Gericht (Straf- oder Familiengericht) oder der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben, wenn diese aufgrund mangelnder Fachexpertise nicht ausreichend beurteilen können, ob eine Zeugenaussage auf einer erlebnisbasierten Grundlage beruht. In der Regel tritt dieser Fall ein, wenn es sich um eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation handelt und keine objektiven Beweise für den Tatvorwurf vorliegen.
Als Aussagepsychologische Sachverständige werde ich dann hinzugezogen, wenn besondere Umstände vorliegen, sei es aufgrund der Persönlichkeit des Zeugen bzw. der Zeugin oder des geäußerten Sachverhalts selbst. Gemäß § 81c StPO ist die Teilnahme an einer aussagepsychologischen Begutachtung für den Zeugen freiwillig.
Aussagepsychologische Gutachter und Sachverständige
Die aussagepsychologische Begutachtung erfolgt hypothesenorientiert, d.h. eingangs werden auf Grundlage der Anknüpfungstatsachen Annahmen über ein mögliches Zustandekommen einer etwaig falschen Aussage aufgestellt. Dabei werden in der Regel folgende Varianten von Unwahrannahmen überprüft: Dass die Aussage auf einer absichtlichen Falschaussage basiert oder durch Einflüsse Dritter / durch psychologische Besonderheiten in der aussagenden Person verfälscht oder verzerrt worden ist.
Ablauf eines aussagepsychologischen Gutachtens
Hauptaspekte einer Aussageanalyse
Der Gesamtbeurteilung einer Aussage in einem aussagepsychologischen Begutachtungskontext geht eine schrittweise Untersuchung der Aussageinhalte und aussagenden Person in Hinsicht auf die Konstrukte: Aussagetüchtigkeit, Aussagezuverlässigkeit und Aussagequalität voraus.
Mindestanforderungen für aussagepsychologische Gutachten
Gemäß Urteil des Bundesgerichtshofs BGH 1 StR 618/98 vom 30.07.1999 lauten die Mindestanforderungen für aussagepsychologische Gutachten:
- Glaubhaftigkeit anstelle von Glaubwürdigkeit: Die Beurteilung konzentriert sich auf die Glaubhaftigkeit einzelner Angaben und nicht auf die dauerhafte Glaubwürdigkeit als persönliche Eigenschaft.
- Hypothesengeleitete Diagnostik: Die Untersuchung erfolgt planvoll durch die Bildung von Hypothesen, die anschließend mittels spezifischer Prüfstrategien überprüft werden.
- Angepasster Einsatz von Methoden: Die Auswahl der angewendeten Verfahren ergibt sich aus den gebildeten Hypothesen, wodurch eine methodische Indikation entsteht, die die weitere Vorgehensweise bestimmt.
- Aggregation von Indikatoren: Die Schlussfolgerung des Gutachtens basiert auf der Gesamtheit aller Indikatoren und nicht nur auf einzelnen Merkmalen.
- Individuelle Bewertung durch Vergleich von Qualität und Kompetenz: Die Beurteilung einer Aussage erfolgt durch den Vergleich der Aussage mit der aussagenden Person und dem Kontext, in dem die Aussage gemacht wurde.
- Nachvollziehbarkeit und Transparenz: Die Schlussfolgerungen des Gutachtens werden gemäß dem wissenschaftlichen Transparenzgebot für alle beteiligten Parteien verständlich und transparent dargelegt.
Unterschied zwischen Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit
Glaubhaftigkeit bezieht sich auf die Überprüfung der Richtigkeit einer Aussage, insbesondere einer Belastungszeugenaussage. Dabei wird der Inhalt der Aussage begutachtet, um festzustellen, ob er plausibel und glaubwürdig ist. Die Bewertung konzentriert sich somit auf die Aussage selbst.
Im Gegensatz dazu steht bei der Glaubwürdigkeit die Person im Mittelpunkt der Bewertung. Hierbei werden die dauerhaften persönlichen Eigenschaften der aussagenden Person betrachtet, um deren generelle Glaubwürdigkeit zu beurteilen. Die Fokussierung liegt nicht mehr auf dem Inhalt der Aussage, sondern auf der Zuverlässigkeit der Person als Zeuge.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass eine unglaubwürdige Person durchaus eine glaubhafte Aussage machen kann, während eine glaubwürdige Person eine nicht glaubhafte Aussage tätigen kann. Daher bevorzugt der aktuelle Fachstandard in der Aussagepsychologie den Begriff der Glaubhaftigkeit, da dieser sich am Inhalt der Aussage orientiert und den aktuellen Erkenntnisstand der Fachwissenschaft widerspiegelt. Obwohl der Begriff des „Glaubwürdigkeitsgutachtens“ weiterhin verwendet wird, ist der Begriff „Glaubhaftigkeitsgutachten“ präziser und entspricht besser dem aktuellen Stand der Forschung (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs BGH 1 StR 618/98 vom 30.07.1999).